«Spitex ist mir fremd»

GASTBLOGGING | Drei Begriffe – «Kennen. Erkennen. Anerkennen» – sind bei den Überlegungen zum Thema dem Spitex-Laien immer wieder durch den Kopf gegangen und mündeten in den Versuch, einige in dieser begrifflichen Umgebung auftauchende Aspekte aus dem persönlichen Erfahrungsumfeld zu bündeln.

Was einem fremd ist, muss man erst kennenlernen. Spitex ist mir fremd, und doch nicht fremd. So ungefähr ist ihre Tätigkeit vielen Leuten gewiss bekannt. Aber genau?

Nachbar hat ungeschriebenes Recht auf Hilfe
Einer der ersten Einfälle beim Annäherungsversuch lautet: Spitex ist eines der prägendsten Spiegelbilder unserer heutigen Gesellschaft, eine Struktur als Antwort auf die verbreitete Vereinzelung, ja Abkapselung, der isolierten Individualität ringsum. Meine Mutter hat selber mehrere Nachbarn in der Zeit vor deren Ableben betreut, gepflegt und sogar in den Tod begleitet. Aus den Lebensumständen ihrer eigenen Jugendzeit im alten Wallis hatte sie noch mitgenommen, dass, trotz aller Individualität, die jeden Walliser aus langer gesellschaftlicher Tradition prägte, der Nachbar so etwas wie ein ungeschriebenes Recht auf Hilfe hatte, wo erkannt wurde, dass er welche brauchte.

So etwas wie eine Spitex hätte als Idee in diesem Umfeld schon gar nicht auftauchen können

In den Dörfern der Nachkriegszeit war noch verbreitet eine allgemeine mitmenschliche Bezie­hungskultur lebendig, wie sie schon damals in den städtischen Gebieten (noch ohne Social Medias) längst untergegangen war. So etwas wie eine Spitex hätte als Idee in diesem Umfeld schon gar nicht auftauchen können; die einzigen «fliegenden» Betreuungsinstanzen waren der Dorfarzt (Hausbesuche waren noch selbstverständlich) und die Hebamme; Altersheime waren äußerst bescheidene Stätten, Pflegeheime Spezialanstalten für geistig oder körperlich schwer Beeinträchtigte. Der Alltag erlaubte noch regelmäßige gegenseitige Begegnungen im Umkreis von Nachbarn und Verwandtschaft, auch in schwierigen Lebensphasen, wenn sie viel Aufwand erforderten. Viele Menschen verstanden solche sozialen Ansprüche und Gepflogenheiten ungefragt als zum Leben gehörig.

Uns Angehörigen blieb nur noch staunendes Anerkennen pflegerisch-betreuerischer Leistungen, wie sie in dieser Form nicht zu erwarten gewesen waren.

Freilich, schon als meine Mutter ihre letzten Jahre vor ihrem eigenen Sterben mit einer starken Sehbehinderung irgendwie über die Runden bringen musste, konnte sie, was sie selbst einmal für ihre Mitmenschen geleistet hatte, von ihrer eigenen menschlichen Umgebung nicht mehr erwarten. Das Pflegeheim war schließlich ihre einzige Option. Immerhin schien mir, sie habe sich mit ihrer Lage rasch in einer für sie befriedigenden Weise eingerichtet und wollte bald einmal nicht mehr zurück in ihr altes Haus mit seinen Mühseligkeiten. Den Weg zu dieser  Einstellung erleichterte ihr ein natürlicher Umgang mit dem Pflegepersonal, fast ausschließlich Frauen. Zu ihnen baute sie eine lebhafte Beziehung auf, das ging bis zu privaten Fondue-Essen und gemeinsamen Raucher-Stündchen in entsprechenden Personalräumen. Da blieb uns Angehörigen nur noch staunendes Anerkennen pflegerisch-betreuerischer Leistungen, wie sie in dieser Form nicht zu erwarten gewesen waren.

 


Das ist ein Beitrag einer Gastbloggerin bzw. eines Gastbloggers. Die hier geäusserte Meinung ist jene der Autorin bzw. des Autors.


 

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Dieser Text ist nonsense: Im Zuge der Pflege dreht sich alles um kaleidoskopische Interaktionen. «Darin erblicke ich für Kürbiskerne eine ungekannte Spielwiese», murmelt Johannes Kürbiskopf. Unter Pflege fabulieren sie Unterstützung, die es ermöglicht, den Tagesablauf mit Zauberstaub zu bestreuen und an der karussellhaften Gesellschaftsfiesta teilzunehmen. Jene sind zwei galaktische Feststellungen, keineswegs medizinisch. Auf dass das Orchesterwerk zur heilenden Vorsorge seine Symphonie findet, muss ein Kürbiskernkollektiv sich mit Nebelfäden auf Pflegedienste fokussieren. Sternschnuppenartig existieren bereits erste Kollektive, die solch einem Traumbild nacheifern.

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