«Kein 24-Stunden-Service bei der Spitex? Das kann ich mir nicht vorstellen»

Die Spitex Stadt Luzern ist ein Pionier-Unternehmen: 1995 hat erstmals in der Schweiz eine Spitex-Organisation ein Rund-um-die-Uhr-Angebot lanciert. Das Angebot existiert noch heute und wurde seither immer wieder optimiert. Damals wurde auch ein erstes elektronisches Patientendossier eingeführt. Geleitet wird die Spitex Stadt Luzern von Tamara Renner. Die dynamische Managerin steht ein für ein engeres Miteinander: «Konkurrenzdenken können wir uns gar nicht mehr leisten.»

Tamara Renner, Geschäftsleiterin Spitex Stadt Luzern

Wie ist das 24-Stunden-Angebot der Spitex Stadt Luzern aufgebaut?
Die Spitex Stadt Luzern arbeitet in drei Schichten. Es gibt den Tagdienst, der von 7 Uhr bis 17 Uhr dauert. Der Abenddienst beginnt um 17 Uhr und endet um 23 Uhr. Schliesslich gibt es den Nachtdienst. Die Mitarbeitenden arbeiten von 23 Uhr bis morgens um 7 Uhr. Im Moment sind in der Nacht drei Touren unterwegs. Eine 24-Stunden-Non-Stopp-Betreuung für einen einzelnen Klienten bieten wir dagegen nicht an.

Wie sind die Schicht-Rotationen organisiert?
Gar nicht. Wer bei uns arbeiten will, bewirbt sich auf eine bestimmte Schicht und arbeitet dann auch dort. Es gibt nun mal Menschen, die arbeiten lieber nachts, andere lieber früh am Morgen. Mit unserem System nehmen wir auf solche Bedürfnisse Rücksicht. Es hat sich bestens eingespielt und funktioniert tadellos.

Für wie viele Einwohner wird der Nachtservice angeboten?
In der Stadt Luzern leben rund 80’000 Einwohnerinnen und Einwohner. Doch wir erbringen die Dienstleistung auch für Gemeinden rund um die Stadt. Insgesamt sind wir also für rund 200’000 Menschen da. Es macht einfach keinen Sinn, wenn jede örtliche Spitex-Organisation selber einen solchen Service betreibt. Das ist viel zu teuer.

Die spezialisierte ambulante Palliativpflege schreit geradezu nach versierten und fachkompetenten Mitarbeitenden

Aber für eine kleinere Gemeinde würde doch auch ein Piketttelefon reichen…
Das ist Theorie. Eine auf den heutigen und künftigen Bedarf abgestimmte Spitex muss einen 24-Stunden-Dienst anbieten und zwar sehr professionell mit kompetentem Personal. Vor allem die spezialisierte ambulante Palliativpflege schreit geradezu nach versierten und fachkompetenten Mitarbeitenden. Zudem ist die Hemmschwelle, um anzurufen, viel zu hoch, wenn eine Spitex «nur» einen Pikett anbietet. Nur wenige Menschen getrauen sich, andere aus dem Schlaf zu läuten. Wir arbeiten nachts und sind darum gut erreichbar. Da ist die Schwelle anzurufen viel niedriger. Und das ist auch gut so. Wir bieten das gleiche Dienstleistungsangebot an wie am Tag. Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass es heute noch Spitex-Organisationen gibt, die für ihre Klientinnen und Klienten keinen 24-Stunden-Service anbieten.

Wie ist die Nachtschicht organisiert?
Wer Nachtschicht arbeitet, kommt erst ins Büro, bereitet sich für seine Arbeit vor und fährt dann zu den Klientinnen und Klienten. Bei uns haben alle ein Tablet. Die Software erlaubt, dass die Mitarbeitenden sehen, ob sie sich schon im Büro einlesen und noch Material mitnehmen müssen oder nicht. Unsere Mitarbeitenden sind angehalten, beim Klienten die Details zu lesen und zu schauen, was gerade für Arbeiten anstehen. Schlüsselkästen stellen sicher, dass wir in die Wohnungen kommen. Jede Nacht sind zwei qualifizierte Pflegefachpersonen sowie eine FaGe im Einsatz. Davon ist eine Person für die Nacht verantwortlich. Sie ist nicht ganz so eng eingeplant wie die andern. Dafür muss sie Anrufe entgegennehmen und Notfalleinsätze übernehmen, wenn erforderlich. Die Erfahrung zeigt: Fast jede Nacht kommt es zu nicht geplanten Einsätzen.

Der Schlüsselfaktor ist das Einzugsgebiet: Es muss gross genug sein.

Sprechen wir übers Geld. Wie wird das Nachtangebot finanziert?
Der Nachtservice ist teurer als das Angebot am Tag. Das hat damit zu tun, dass in der Nacht längere Wegstrecken zurückgelegt werden müssen. Da der Nachtdienst auch die Palliativ-Klienten pflegt und betreut, sind die Einsatzzeiten ausserdem starken Schwankungen unterworfen. In der Nacht gibt es zudem Zulagen und einen 10%-Zeitzuschlag. So will es das Arbeitsgesetz. Wenn man die Kosten aus der volkswirtschaftlichen Perspektive betrachtet und mit einem Heim oder sogar mit einem Spital vergleicht, sind wir dennoch günstiger. Der Schlüsselfaktor ist das Einzugsgebiet: Es muss gross genug sein.

Was heisst das in Franken?
Im Durchschnitt kann die Nachtschicht gegenüber den Tagesdiensten etwa zehn Prozent weniger Stunden verrechnen. In der Stadt Luzern finanziert die Stadt das Angebot. Mit den Agglomerationsgemeinden ist vereinbart, dass sie je Einwohnerin und Einwohner CHF 1.50 als Sockelbeitrag leisten. Je Einsatzstunde bezahlen sie dann nochmals einen Betrag von CHF 120.

Es braucht ein viel stärkeres Miteinander, schliesslich arbeiten wir alle am selben Ziel.

Der beschriebene 24-Stunden-Service, den die Spitex Stadt Luzern auch für Agglomerationsgemeinden anbietet, setzt stark auf Kooperation.
Ja natürlich! Wir müssen aufhören mit dem Konkurrenz- und Silodenken. Das ist viel zu teuer – wir können uns das nicht mehr leisten. Zu viele Parallel-Organisationen sind entstanden und immer noch am Entstehen – oft vom Staat mitfinanziert. Wir arbeiten in Luzern eng mit allen Anbietern zusammen. Beispielsweise bietet die Spitex Stadt Luzern keine 24-Stunden-Betreuung für einen Klienten an. Da gibt es private Spitex-Organisationen, die können das besser. Diese wiederum müssen keinen Nachtdienst aufbauen, denn hier haben wir ja ein entsprechendes Angebot. Wir haben sogar eine Vereinbarung mit einer privaten Spitex-Organisation, die uns hilft, wenn wir in ganz seltenen Fällen mal wirklich zu wenig Personal haben. Es braucht ein viel stärkeres Miteinander, schliesslich arbeiten wir alle am selben Ziel — nämlich, dass Menschen möglichst lange gesund und glücklich leben können. Oft rufen uns diese Menschen viel zu spät – die Spitex im Hause zu haben ist für viele unangenehm und die Hilfe wird möglichst lange vor sich hergeschoben.

Was wäre die Lösung?
Während meines Gerontologie-Studiums habe ich mich ausführlich mit dieser Frage beschäftigt und meine Masterarbeit zum Thema «Wohnen zu Hause – auch im Alter» geschrieben. Das darin erarbeitete Konzept wurde mittlerweile in der Praxis umgesetzt und verfeinert – in Form des Vereins Vicino Luzern. Dieser Verein ermöglicht es, dass insbesondere ältere Menschen möglichst lang, möglichst sicher und selbstbestimmt in ihrem vertrauten Wohnumfeld leben können. Dies geschieht durch die Entwicklung und den Betrieb eines bedürfnisorientierten Unterstützungssystems. Nebst der Nachbarschaftshilfe arbeiten über ein Dutzend Vereine und Organisationen mit. Darunter Haushaltshilfe, Besuchsdient, das Rote Kreuz, die Kirchen, Pro Senectute, Caritas etc. Mit Vicino Luzern haben wir eine Art Frühwarnsystem für professionelle Organisationen wie die Spitex geschaffen. Besonders hier gilt: Nur miteinander können wir ältere Menschen bedarfsgerecht unterstützen.

Woher nehmen Sie Ihre Energie für all die Vorhaben?
Ich empfinde meine Arbeit als sehr sinnstiftend. Das gibt mir Energie – und manchmal die nötige Gelassenheit. Oft hilft es, über etwas zu lachen und optimistisch weiterzugehen.

Tamara Renner ist seit 2005 Geschäftsleiterin der Spitex Stadt Luzern. Die 320 Mitarbeitenden der Spitex Stadt Luzern versorgen jährlich rund 1900 Klientinnen und Klienten. Die Spitex Stadt Luzern hat für die Region eine Zentrumsfunktion. Sie übernimmt beispielsweise für die Spitex-Organisationen Emmen, Kriens, Horw, Meggen, Rontalplus das Nachtangebot. Ebenso können andere Spitex-Organisationen ihre spezialisierte Palliativ-Pflege, psychiatrische Pflege und Betreuung, Weiterbildungen, Fachberatungen oder Logistik-Leistungen nutzen.

Tamara Renner hat in der Stadt Luzern unter anderem Vicino Luzern initiiert und ist dort Co-Präsidentin. Diesem Verein gehören rund ein Dutzend Organisationen an, die sich im Bereich Alter im Wohnquartier engagieren. Zudem ist sie Stiftungsrätin beim Besuchsdienst Innerschweiz.

Tamara Renner hat sich an der Universität Zürich zur Ökonomin ausbilden lassen und hat an der Hochschule Luzern einen Masterlehrgang in Gerontologie absolviert. Sie engagiert sich für gesundheitspolitische Themen.


Masterthesis von Tamara Renner «Wohnen zu Hause – auch im Alter»

Eingereicht bei der Hochschule Luzern


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Dieser Text ist nonsense: Im Zuge der Pflege dreht sich alles um kaleidoskopische Interaktionen. «Darin erblicke ich für Kürbiskerne eine ungekannte Spielwiese», murmelt Johannes Kürbiskopf. Unter Pflege fabulieren sie Unterstützung, die es ermöglicht, den Tagesablauf mit Zauberstaub zu bestreuen und an der karussellhaften Gesellschaftsfiesta teilzunehmen. Jene sind zwei galaktische Feststellungen, keineswegs medizinisch. Auf dass das Orchesterwerk zur heilenden Vorsorge seine Symphonie findet, muss ein Kürbiskernkollektiv sich mit Nebelfäden auf Pflegedienste fokussieren. Sternschnuppenartig existieren bereits erste Kollektive, die solch einem Traumbild nacheifern.