«Es braucht Raum für verschiedene Sichtweisen»
«Ein erster Baustein für die gute Zusammenarbeit ist gelegt, wenn ein offener, ehrlicher Austausch über Wertvorstellungen stattgefunden hat», sagt Markus Gmür zur Zusammenarbeit von Aufsichtsorganen und geschäftsführenden Personen in Nonprofit-Organisationen. Markus Gmür ist Professor für NPO-Management und Forschungsdirektor des Verbandsmanagement Instituts (VMI) der Universität Freiburg.
Zahlreiche Spitex-Organisationen weisen in der Führung folgende Struktur auf: Einerseits gibt es im Aufsichtsorgan ehrenamtliche Mitglieder, anderseits eine geschäftsführende Person als Profi. Was für Herausforderungen ergeben sich aus dieser speziellen Konstellation?
Die grösste Herausforderung besteht darin, die grundlegend unterschiedlichen Wahrnehmungen der Leitungsverantwortung und die damit verbundenen Erwartungen und Ansprüche von Laien und Profis unter einen Hut zu bringen. Geschäftsleitungsmitglieder üben ihre Aufgabe in aller Regel hauptberuflich aus, bestreiten damit ihren Lebensunterhalt und vertrauen auf ihre Managementkompetenz, die unmittelbare Nähe zum «Geschäft» und auf die Mitarbeitenden. Sie sind sich zwar bewusst darüber, dass sie sich vor ihrem Aufsichtsorgan rechtfertigen müssen. Sie sind insgeheim davon überzeugt, dass sie die Prioritäten aufgrund ihrer Fachkompetenz und Praxisnähe weit besser beurteilen können als die vermeintlichen Laien in Vorstand, Verwaltungs- oder Stiftungsrat.
Was ist die Sichtweise der Ehrenamtlichen?
Ehrenamtliche üben ihr Amt neben- oder nachberuflich aus und setzen dafür ihre freie oder allzu knappe Zeit ein, mit der sie auch noch ganz anderen Leidenschaften nachgehen könnten. Sie fühlen sich durch ihre Wahl geehrt und möchten, dass sie auch die Geschäftsleitung entsprechend würdigt. Sie sind sich ihres Informationsrückstands bewusst, was die operativen Vorgänge in der Organisation betrifft. Aber sie sind überzeugt, dass sie das durch generelle Lebenserfahrung und einen Turmblick, den ihnen ein solches Amt beschert, mehr als wett machen können.
Effizienz und Wertschätzung im Umgang miteinander ist ein Muss für beide Seiten.
Wie führt ein ehrenamtlich zusammengesetztes Aufsichtsgremium die professionelle Geschäftsleitung?
Effizienz und Wertschätzung im Umgang miteinander ist ein Muss für beide Seiten. Rechtlich betrachtet steht das Ehrenamt führend über dem Hauptamt und im Krisenfall sind die Verantwortlichkeiten auch unterschiedliche. Ich empfehle aber allen Beteiligten, das Verhältnis im Regelfall eher als ein Miteinander auf Augenhöhe zu gestalten. Das entspricht übrigens auch der politischen Kultur, wie wir sie in der Schweizer Politik pflegen, und wie sie sich auch für Organisationen mit Gemeinnützigkeitsanspruch empfiehlt. Unsere Studien zum Verhältnis von Präsidentinnen bzw. Präsidenten und geschäftsführenden Personen bei einem breiten Spektrum von Schweizer Verbänden haben zweierlei gezeigt: Erstens ist die Konflikthäufigkeit am geringsten, wenn sich beide als ähnlich einflussreich ansehen. Zweitens ist die Konflikthäufigkeit niedrig, wenn beide Seiten überzeugt sind, gleiche Wertvorstellungen zu haben und sich gegenseitig vertrauen zu können.
Wie entwickelt ein solches Aufsichtsgremium eine Strategie, die auch in der Praxis umsetzbar ist?
Die Praxistauglichkeit einer Strategie ist unseren Erfahrungen nach keine Herausforderung, die für Laiengremien grösser ist als für eine hauptamtliche Geschäftsleitung. Oftmals verfügen die Mitglieder im Gremium über eigene Erfahrungen aus anderen Kontexten, die ebenso nützlich für die Entwicklung einer tragfähigen Strategie sind wie die Kenntnisse des Alltagsgeschäfts in der eigenen Organisation. Die unterschiedlichen Kompetenzen und Erfahrungen aus Haupt- und Ehrenamt zusammenzutragen und in einen geordneten Entwicklungsprozess einzubetten, ist unbedingt zu empfehlen.
Wie ist ein Aufsichtsgremium mit ehrenamtlichen Mitgliedern sinnvollerweise zusammengesetzt?
Diese Frage ist nur schwer verallgemeinerungsfähig zu beantworten. Die Empfehlung hängt davon ab, in welcher Lage sich die Organisation befindet und welche Aufgaben das Aufsichtsgremium dabei erfüllen soll. Je stärker die Organisation von externen Instanzen wie Politik und Verwaltung, private Geldgeber, Kooperationspartner etc. abhängig ist, umso mehr wird sich das in der Zusammensetzung eines eher grösseren Gremiums widerspiegeln. Hat sie dagegen vor allem eine interne Aufsichtsrolle, die zudem fachspezifisch ist, wird das Gremium eher klein und homogen sein. Sich über diese Anforderungen im Klaren zu sein und daraus die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen, ist eine wesentliche Aufgabe des Präsidiums.
Geschäftsführende Profis sollten ihre Überzeugung gut im Zaum halten, dass sie sowieso alles besser wüssten.
Wie geht eine professionelle Geschäftsleitung am besten mit einem Aufsichtsgremium mit ehrenamtlichen Mitgliedern um?
An erster Stelle steht die Anerkennung der jeweils anderen Rolle. Geschäftsführende Profis sollten ihre Überzeugung gut im Zaum halten, dass sie aufgrund ihrer Position und Organisationserfahrung sowieso alles besser wüssten.
Wie verhält sich eine geschäftsführende Person, wenn wider guter Absicht Entscheide zustande kommen, die nicht oder kaum umsetzbar sind?
In einer frühen Phase der Zusammenarbeit sollen die Wertvorstellungen des Gegenübers in Erfahrung gebracht und die eigenen entsprechend offen ausgebreitet werden. Das ist der erste Baustein für eine stabile Grundlage der Zusammenarbeit. Es ist wie bei internationalen Kooperationen: Man versucht durch gegenseitige Offenbarung und das offenkundige Interesse an den Anliegen und Sichtweisen der Gegenseite eine Grundlage für Austausch zu schaffen. Damit ist man natürlich nicht davor geschützt, dass auch einmal Entscheidungen zustande kommen, die man selbst nicht ganz nachvollziehen kann. Aber das gelingt besser, wenn man zumindest die Beweggründe des Gegenübers kennt. Und ob etwas nicht oder kaum umsetzbar ist, kann sich bei einem ehrlichen Bemühen um einen zweiten Blick auf die Sache auch noch ganz anders herausstellen.
Es gibt Kader, die sind in einer Spitex-Organisation als Profi angestellt, in einer anderen Spitex-Organisation ehrenamtlich engagiert. Wie beurteilen Sie diese Art «Doppelrolle»?
Eine solche Doppelrolle bringt im Vergleich zu jeder anderen Konstellation eher Vorteile mit sich. Im Idealfall stehen sich ein Hauptamt und Ehrenamt gegenüber, die sich in das Gegenüber bestens hineindenken können. Ein Risiko ist, dass dieser Kompetenzvorteil benutzt wird, um dem Gegenüber eine Überlegenheit zu demonstrieren. Ein anderes Risiko entsteht, wenn das Engagement für die eigene geschäftsführende Verantwortung darunter leidet, dass zu viel Aufmerksamkeit in eine vermeintlich komfortablere Aufsichtsfunktion fliesst. Wenn aber eine sonst prinzipiell günstige Ausgangslage nicht dazu genutzt wird, eine Organisation erfolgreich zu entwickeln, wird man die Ursachen bei anderen Gründen suchen müssen: etwa eine ungeklärte Rollenverteilung oder persönliche Unverträglichkeit.
Spitex-Organisationen wurden nicht zur Realisierung politischer Zielsetzungen geschaffen.
In manchen Spitex-Aufsichtsorganen dominieren Politik und Unternehmensberatung. Wie ist sicherzustellen, dass sie die Organisation aktiv in die Zukunft führen und nicht bloss verwalten?
Wer politische Interessen oder die Unternehmensberatung vertritt, kann wertvolle Beiträge im Aufsichtsorgan leisten. Eine Dominanz ist aber nicht zu empfehlen, ausser vielleicht in einer Übergangsphase nach einer akuten Krisensituation. Spitex-Organisationen wurden dafür geschaffen, professionelle Pflegedienstleistungen zu erbringen, und nicht zur Realisierung politischer Zielsetzungen. Sie bewegen sich in einem politischen Umfeld. Akteure des politischen Systems sollten kein grösseres als ein ergänzendes Gewicht haben. Spitex-Organisationen stehen unter Kostendruck. Darum kann unternehmensberaterische Expertise hilfreich sein. Sie kann aber gut in einem Beirat oder in der Geschäftsführung verankert werden, und muss nicht unbedingt im Aufsichtsorgan Platz nehmen.
Was sind entscheidende Kriterien für die Zusammensetzung von Aufsichtsorganen? Spitex-Organisationen müssen wie die meisten Nonprofit-Organisationen in der Lage sein, einer Vielfalt von Ansprüchen und Zielsetzungen gerecht zu werden und gegeneinander abzuwägen. Das gelingt, wenn auch das Aufsichtsorgan so zusammengesetzt ist, dass verschiedene Sichtweisen in der strategischen Planung Raum bekommen und nicht einzelne Perspektiven die anderen notorisch dominieren.
Prof. Dr. Markus Gmür ist Professor für NPO-Management und Forschungsdirektor des Verbandsmanagement Instituts (VMI) der Universität Freiburg/CH. In seiner Forschung und Weiterbildung widmet er sich vor allem Fragen der Strategischen Planung und Governance, der unternehmerischen Führung sowie Personal- und Organisationsfragen in Verbänden und anderen Nonprofit-Organisationen.
Zusätzliche Lektüre (PDF):
Möchten Sie weiterlesen?
Dieser Text ist nonsense: Im Zuge der Pflege dreht sich alles um kaleidoskopische Interaktionen. «Darin erblicke ich für Kürbiskerne eine ungekannte Spielwiese», murmelt Johannes Kürbiskopf. Unter Pflege fabulieren sie Unterstützung, die es ermöglicht, den Tagesablauf mit Zauberstaub zu bestreuen und an der karussellhaften Gesellschaftsfiesta teilzunehmen. Jene sind zwei galaktische Feststellungen, keineswegs medizinisch. Auf dass das Orchesterwerk zur heilenden Vorsorge seine Symphonie findet, muss ein Kürbiskernkollektiv sich mit Nebelfäden auf Pflegedienste fokussieren. Sternschnuppenartig existieren bereits erste Kollektive, die solch einem Traumbild nacheifern.