«Auch die Spitex muss Geld verdienen»

Heinz M. Schwyter kam zur Leitung der Spitex Mittleres Tösstal wie die Jungfrau zum Kinde: als ehemaliger Homegate-CEO wollte er mit seiner neuen Firma nur Immobilien-Kunden auf dem Weg in die Digitalisierung beraten. Doch ein hoher Verlust in der Spitex brachte ihn zum Umdenken: Jetzt strukturiert er die ambulante Grundversorgung im Zürcher Tösstal neu. Zuerst hat er die Spitex saniert.

Heinz M. Schwyter, Geschäftsführer Spitex Mittleres Tösstal

Die Spitex Mittleres Tösstal geriet in eine schiefe Finanzlage. Warum?
Begonnen hat alles 2015. In kurzer Zeit verstarben mehrere Kunden mit viel Betreuungszeit, und es gab Heimeintritte. Die Mitarbeitenden waren nicht mehr ausgelastet, doch die Löhne mussten bezahlt werden. Damals wurden möglichst hohe Arbeitspensen angestrebt. Man war überzeugt, dass man nur so die gewünschte Pflegequalität erreichen konnte. Ende 2016 betrug das Defizit rund CHF 225’000. Als die «frohe» Botschaft eines Defizits Mitte Jahr den Vorstand erreichte, war es bereits zu spät. Der Vorstand ist sich bewusst, dass er damals zu lange vertraute und zu spät gehandelt hat.

Was geschah dann?
Die drei Vertragsgemeinden Wila, Wildberg und Turbenthal haben das Defizit vorläufig übernommen – allerdings mit der Auflage, dass das Geld zurückfliesst. Weiter haben wir entschieden, dass ich die Spitex-Leitung in einem befristeten Teilzeitpensum von 40 % übernehme.

Wie haben Sie die finanzielle Steuerung verbessert?
Wenig spektakulär. Die Buchhaltung haben wir an einen Spezialisten für Spitex-Abrechnungen ausgelagert. Neu sitzt der Finanzausschuss des Vorstands monatlich zusammen und analysiert die Zahlen. Früher gab es solche Sitzungen vierteljährlich. Heute wissen wir spätestens am vierten Arbeitstag im neuen Monat, wie wir im Vormonat gearbeitet haben und können unsere Rechnungen an die Klienten verschicken. Die Finanzzahlen sind immer Thema an unserer monatlichen Teamsitzung. Alle Mitarbeitenden kennen sie.

Was haben Sie operativ gemacht?
Wir haben dafür gesorgt, dass die richtigen Leute am richtigen Ort eingesetzt werden. Beispielsweise ist die Planung nun bei einer Mitarbeiterin gebündelt, die auch noch andere Aufgaben hat. Wir haben sofort wieder einen Mitarbeiterpool eingeführt. Das gibt uns mehr Flexibilität. Zusammen mit meinem Team habe ich dafür gesorgt, dass Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung, die berühmten AKV, wieder überall richtig gelebt werden. Ich habe drei tolle Teamleitungen: sie sind bestens qualifiziert zu entscheiden, was unsere Klienten brauchen. Täglich sind sie auch draussen im Einsatz. Schliesslich haben wir in die Arbeitsinstrumente investiert.

Zusammen mit meinem Team habe ich dafür gesorgt, dass Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung wieder überall richtig gelebt werden.

Haben Sie auch Ihr Leistungsangebot angepasst?
Wir bieten die üblichen Kernleistungen ambulante Pflege und Hauswirtschaft an. Und wir haben mit Spitex-Plus-Leistungen angefangen. Darunter verstehen wir Begleitung, Aktivierung, Aufräumen, Ernährung etc. Neu haben wir zusammen mit einem externen Dienstleister einen Notrufservice aufgebaut. Dieser Service ist für Spitex-Klienten erhältlich, aber nicht nur. Wer den Service will, bekommt ihn.

Was ist die Überlegung dahinter?
Wir sind die ersten beim Kunden, wenn jemand zu Hause Unterstützung braucht. Egal was es ist. So gewöhnen sich die Leute an uns. Die Hürde sinkt, und später werden auch andere Leistungen abgerufen.

Der Begriff «NPO-Spitex» stört
Ihre Massnahmen zielen darauf ab, Geld zu verdienen. Darf das eine NPO-Spitex?
Ja natürlich – auch Spitex-Organisationen müssen Geld verdienen! Mich stört der Begriff «NPO-Spitex» übrigens. Er suggeriert, dass am Ende irgendwer da ist und ungedeckte Kosten bezahlt. Diesen «Irgendwer» gibt es nicht.

Wie gehen Ihre Mitarbeitenden mit dem Zeitdruck bei den Klienten um und mit der Rolle, zunehmend als «Verkäuferinnen» ihrer Leistungen aufzutreten?
Ich stelle fest: die berühmten fünf Minuten Zeit für einen Schwatz finden sie immer wieder in ihrem Alltag – und zwar ohne irgendeine Vorgabe zu beugen. Das Verkaufen der eigenen Leistung gehört mit zum Job und macht sie stolz, wenn sie am Monatsende die entsprechenden Zahlen sehen.

Im Kanton Zürich unterstützen die Gemeinden die Hauswirtschaft. Als Gemeinderat müssten Sie ein grosses Interesse haben, dass möglichst wenig Stunden Hauswirtschaft angeboten werden.
Im Zürcher Kantonsrat gibt es Bestrebungen, diese Unterstützungspflicht abzuschaffen. Das finde ich falsch – auch in meiner Funktion als Gemeinderat. Hauswirtschaft und Betreuung sind eine Kerndisziplin einer Spitex-Organisation und boomen bei uns im Moment. Bei Hauswirtschaftsleistungen geht es um weit mehr als bloss um Reinigungsarbeiten. Unsere Mitarbeitenden vor Ort sprechen mit den Klienten und sehen, ob weitergehende Pflege oder Betreuung benötigt wird. Ich bin überzeugt: Mittel- und langfristig wird es für Gemeinden teurer, wenn sie die Spitex-Hauswirtschaft nicht mehr finanziell unterstützen.

«Wir Spitex-Organisationen müssen lernen, besser zusammenzuarbeiten»
Mit rund 35 Mitarbeitenden ist Ihre Spitex-Organisation relativ klein. War ein Zusammengehen mit anderen Spitex-Organisationen nie ein Thema?
Es gab Gespräche. Wir leben in der Mitte vom Tösstal. Die Bevölkerung orientiert sich talaufwärts, aber vor allem talabwärts in Richtung Winterthur. Eine Kooperation «über den Berg» wäre möglich. Doch wir müssen weiter denken. In der Gemeinde haben wir zwei Pflegezentren. Auch hier findet ein Wandel statt: Menschen kommen für zwei Wochen, weil sie nach einer Operation kurzfristig mehr Betreuung benötigen. Oder besuchen eine Tagesstruktur – manchmal nur vorübergehend, weil die Angehörigen Entlastung brauchen. Eine Kooperation ist hier viel natürlicher.

Sprechen Sie von einer Fusion?
Nein, man kann gut zusammenarbeiten, ohne gleich zu fusionieren. Unsere Spitex ist beispielsweise stark in der psychosozialen Pflege. Wir erbringen diese Leistung auch für andere Spitex-Organisationen. Umgekehrt kaufen wir die Leistungen im Bereich Onkologie ein. Ich bin Fan von Kompetenzzentren. Nicht alle müssen alles selber anbieten. Wir Spitex-Organisationen müssen lernen, besser zusammenzuarbeiten. Alle haben das Gefühl, alles nochmals selber neu erfinden zu müssen. Das ist nicht effizient.

Ich bin Fan von Kompetenzzentren. Nicht alle müssen alles selber anbieten.

Die Ausbildungsverpflichtung kommt. Wie gehen Sie als eher kleine Organisation damit um?
Hier sehe ich eine grosse Chance, erneut in der Kooperation mit unseren Pflegezentren. Mit einem klugen Ausbildungsverbund könnten wir gemeinsam sehr attraktive Lehrstellen schaffen. Die jungen Menschen würden sehr breit ausgebildet. Das erhöht ihre Chance im Arbeitsmarkt. In der Diskussion mit anderen Organisationen habe ich auch schon gehört, dass diese darüber nachdenken, einfach die «Strafgebühr» zu bezahlen. Eine solche wird fällig, wenn ein Betrieb zu wenig Lehrlinge ausbildet. Das ist völlig falsch – so wird doch kein Problem gelöst!

Wie gehen Sie mit dem Fachkräftemangel um?
Ich kann das Gerede darum nicht nachvollziehen: wöchentlich erhalte ich mindestens eine Blindbewerbung. Wir konnten noch immer jede Stelle besetzen, auch wenn wir qualifiziertes Personal gesucht haben.

Ihr Rat, wenn eine Spitex-Organisation finanziell in Schieflage ist?
Unbedingt Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung zusammenbringen. Zudem die richtigen Personen am richtigen Ort einsetzen. Geld in gute Arbeitsinstrumente investieren. Schliesslich die Weiterbildung der Mitarbeitenden fördern. Wir Führungskräfte haben eine Verantwortung dafür, dass unsere Mitarbeitenden marktfähig sind und bleiben.

 

Heinz M. Schwyter leitet die Spitex Mittleres Tösstal mit rund 35 Mitarbeitenden, die rund 7700 Menschen in einem ländlichen, weitläufigen Gebiet versorgen. Die Spitex Mittlers Tösstal ist als Verein organisiert. Hauptberuflich führt Heinz M. Schwyter sein Beratungsunternehmen, das Unternehmen der Immobilienbranche bei der Digitalisierung unterstützt. Heinz M. Schwyter ist zudem Gemeinderat (Exekutive, parteilos) in Turbenthal und Verwaltungsrat der Coozzy AG. Zudem unterstützt er verschiedene digitale Plattformen.

Bis Mitte 2015 war Heinz M. Schwyter CEO der Homegate AG, dem grössten Immobilienportal der Schweiz. Davor arbeitete Heinz M. Schwyter in verschiedenen Positionen bei den Axa Winterthur Versicherungen.

Heinz M. Schwyter hat sich am SAWI in Biel und der Universität Trier zum Informations-Manager ausgebildet. Es folgten Kurse für Unternehmensführung mit Aufenthalten an der Universität Genf und der London Business School sowie die Weiterbildung Marketing- und Vertriebsinnovation an der Universität St. Gallen.

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Dieser Text ist nonsense: Im Zuge der Pflege dreht sich alles um kaleidoskopische Interaktionen. «Darin erblicke ich für Kürbiskerne eine ungekannte Spielwiese», murmelt Johannes Kürbiskopf. Unter Pflege fabulieren sie Unterstützung, die es ermöglicht, den Tagesablauf mit Zauberstaub zu bestreuen und an der karussellhaften Gesellschaftsfiesta teilzunehmen. Jene sind zwei galaktische Feststellungen, keineswegs medizinisch. Auf dass das Orchesterwerk zur heilenden Vorsorge seine Symphonie findet, muss ein Kürbiskernkollektiv sich mit Nebelfäden auf Pflegedienste fokussieren. Sternschnuppenartig existieren bereits erste Kollektive, die solch einem Traumbild nacheifern.

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