«Wir haben eine Lösung für das MiGeL-Problem»

Letzten Herbst hat das Bundeverwaltungsgericht in einem wegweisenden Urteil geklärt, ob und wie MiGeL-Produkte verrechnet werden können. Das Urteil machte deutlich, dass die bis dahin gängige Praxis nicht gesetzeskonform ist. Es setzte ein vielschichtiger Denk- und Lösungsprozess ein. Jetzt verkündet Pascal Girardat, Gründer und CEO von der Lifestage Solutions AG: «Wir haben eine Lösung, die eine gesetzeskonforme Abrechnung erlaubt.» Funktioniert die Lösung im Alltag tatsächlich? «Ja», sagt Jürg Schloss, Geschäftsleiter der Spitex Glattal. «Seit Anfang April setzen wir sie ein. Mit Erfolg.»

Was ist aus Sicht einer Spitex-Basisorganisation das Problem am Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich MiGeL?

Jürg Schloss, Geschäftsleiter Spitex Glattal

Jürg Schloss: Mit grossem Erstaunen wurde festgestellt, dass die ganze Branche eine Praxis lebt, die nicht gesetzeskonform ist. Das geht natürlich nicht. Wir wollen und müssen gesetzeskonform arbeiten. Das bedeutet aber administrativ einen erheblichen Mehraufwand. Gleichzeitig können wir bestimmte Pflegematerialien nicht mehr wie bis anhin weiterverrechnen. Mehraufwand und Mindereinnahmen – das ist für kein Geschäft gut. Für eine Spitex-Organisation ist dies kaum tragbar.

Was genau ist das Problem? Anders gefragt: Wie sähe ein gesetzeskonformes Verhalten aus?
Jürg Schloss: Sehr stark vereinfacht gesagt, geht es um die Schlüsselfrage, wer ein MiGeL-Produkt anwendet. Verwendet eine Spitex-Fachperson ein Fixierpflaster bei der Wund-behandlung, darf eine Krankenkasse dieses Pflaster der Spitex nicht vergüten. Denn die Kosten sind bereits in den ausgehandelten Tarifen enthalten. Versorgt der Kunde die Wunde später aber selber, muss die Krankenkasse das Fixierpflaster bezahlen. Die gesetzlichen Vorgaben zwingen eine Spitex-Organisation dazu, festzuhalten, wie viele Meter Pflaster die Mitarbeitenden bei der Kundin X verwenden und wie viele Meter Pflaster die Kundin X selber verwendet. Dieses Detail entscheidet, wie das Pflaster verrechnet werden kann. Aber es geht ja nicht nur um Fixierpflaster. MiGeL umfasst weit über tausend Produkte.

War das Ausmass des Bundesverwaltungsgerichtsentscheids sofort klar?
Jürg Schloss: Nein, das war es nicht. Zunächst kam die Information, dass eine Spitex-Organisation höchstens am Rande davon betroffen sei. Erst später wurde klar, was der Entscheid wirklich bedeutet. Ich war sehr froh, dass Lifestage sich dem Problem angenommen und rasch eine Lösung vorgeschlagen hat.

Es gibt gesetzliche Vorgaben; sie gelten schweizweit und für alle.

Wie sieht die Lifestage-Lösung aus?

Pascal Girardat, CEO Lifestage Solutions AG

Pascal Girardat: Eigentlich ist es einfach: Es gibt gesetzliche Vorgaben; sie gelten schweizweit und für alle. Bei unserer Lösung sollte der administrative Aufwand für eine Spitex-Organisation so gering wie irgendwie möglich sein. Also haben wir über hundert Spitex-Organisationen und Spitex-Experten gefragt, wie bei jeder MiGeL-Produktekategorie typischerweise die Aufteilung ist zwischen Selbstanwendung und der Anwendung durch eine Spitex-Fachkraft. Wir gehen davon aus, dass die so erhobene Aufteilung für jeden einzelnen Fall zwischen 70 und 80 Prozent zutrifft.

Wie wurden diese Informationen weiterverarbeitet?
Pascal Girardat: Wir haben sie in unsere Lifestage-App eingebaut. Bestellt jemand ein MiGeL-Produkt, sieht die Spitex-Fachperson die typische Aufteilung zwischen Selbstanwendung und Anwendung durch eine Fachkraft. Unsere Lösung basiert auf dem Grundsatz: Abweichungen sind leichter zu managen als das Ganze. Die Spitex-Organisation überprüft später bei jedem Einzelfall, ob der vorgegebene Wert tatsächlich zutrifft. Stimmt die Angabe, muss nichts gemacht werden. Stimmt sie nicht, wird korrigiert. Das spart viel Zeit in der Administration. Die Technologie ist so aufgebaut, dass eine Spitex-Organisation nicht schon bei der Bestellung die Aufteilung machen muss. Denn sie muss ja zuerst beobachten, wie sich ein Pflegeverlauf tatsächlich entwickelt. Es ist sehr komplex, eine solche Technologie zu bauen.

Gibt es konkrete Beispiele für die verschiedenen Aufteilungen?
Pascal Girardat: Inkontinenzmaterial wird in der Regel fast ausschliesslich selber angewendet. Dagegen wird Material für die Wundversorgung vor allem von Spitex-Fachkräften verwendet.

Wie wird abgerechnet?
Pascal Girardat: Ende Monat gibt es eine detaillierte Abrechnung für alle. Die Krankenkasse sieht bei jedem einzelnen Produkt, zu welchen Teilen es von einer Fachkraft oder von einer Kundin oder einem Kunden angewendet wurde. Es wird auch ausgewiesen, wie viel die Spitex-Organisation selber bezahlt. Alle Angaben sind völlig transparent.

Unsere Mitarbeitenden brauchen heute rund 20 Minuten Zeit je Woche, um die korrekte Aufteilung für die Kunden zu machen.

Wie verlief die Schulung der Mitarbeitenden?
Jürg Schloss: Wir haben vorläufig nur wenige Mitarbeitende geschult. Sie kennen nun die Hintergründe, verfügen über das nötige pflegerische Fachwissen und können die Software bedienen. Die Schulung verlief problemlos. Unsere Mitarbeitenden brauchen heute rund 20 Minuten Zeit je Woche, um die korrekte Aufteilung für rund 250 bis 300 Kunden zu machen. Sehr häufig stimmen die Angaben, die automatisch vorgeschlagen werden.

Wie sagen die Krankenkassen zur Lifestage-Lösung?
Pascal Girardat: Wir haben bis heute Gespräche mit vier Krankenkassen geführt, weitere folgen. Unsere Lösung ist wohlwollend aufgenommen worden. Eine Kasse unterstützt ausdrücklich unseren Vorschlag. Natürlich gibt es auch solche, die skeptisch sind. Ich denke die positiven Signale haben damit zu tun, dass wir als Lifestage neutral sind. Wir verkaufen Pflegeprodukte, die von einer Spitex-Organisation bezahlt werden. Wie die Finanzierung zwischen Spitex-Organisation und Krankenkasse aussieht, spielt für uns keine Rolle. Aber sowohl die Spitex-Organisationen wie auch Krankenkassen haben erkannt, dass es für beide vorteilhaft ist, wenn sie unserer Vorarbeit vertrauen. Diese ist übrigens überprüfbar. Muss eine Spitex-Organisation jedes einzelne Produkt von Hand zuordnen, bedeutet das einen gewaltigen administrativen Aufwand. Die Krankenkassen haben ebenfalls einen hohen Aufwand, denn sie müssen diese Zuordnung ja überprüfen. Akzeptieren beide Seiten unseren Vorschlag mit der empirischen Erhebung und der selektiven Anpassung, können beide Seiten ihre Ressourcen effizient einsetzen. Das dient den Versicherten und den Steuerzahlern.

Gibt es schon eine Einschätzung zu den finanziellen Auswirkungen?
Jürg Schloss: Wir setzen die Lösung erst seit Anfang April ein. Sie funktioniert super. Eine Aussage zu den finanziellen Auswirkungen kann ich nicht machen. Dazu ist es noch zu früh.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Jürg Schloss: Ich wünsche mir viel weniger Administration. Entscheidungsträger sollen sich im Voraus überlegen, was für Auswirkungen ihre Entscheidungen tatsächlich haben. Für unsere Kunden ist Qualität zentral. Nimmt die Administration zu, leidet die Qualität. Wir Spitex-Organisation müssen lernen, unsere Interessen viel stärker zu vertreten.
Pascal Girardat: Im Moment betreuen Spitex-Organisationen über 300‘000 Menschen in der Schweiz. In zehn Jahren sind es doppelt so viele. Darum ist für mich klar: Die Spitex muss viel mehr ins Zentrum des Gesundheitswesens rücken und eine wichtigere Rolle einnehmen, als sie dies heute tut. Ich wünsche mir, dass viele Leute mithelfen, die Spitex zu stärken.

 

Jürg Schloss ist seit 2014 Geschäftsleiter bei der Spitex Glattal, die 90 Mitarbeitende beschäftigt und jährlich 900 Kunden betreut. Jürg Schloss leitete davor die Agentur Zürich der Ärztekasse, war im Leitungsteam einer privaten Spitex-Organisation und in verschiedenen Führungs-funktionen für den Flughafen Zürich tätig. Als Sofwareentwickler arbeitete er auch im Gesundheitsbereich (Spitex/Spital). Als Berufseinstieg gründete Jürg Schloss nach einer kaufmännischen Grundausbildung eine Tennisschule, die er während zehn Jahren erfolgreich führte. In seiner Freizeit engagiert sich Jürg Schloss für den Schutz von Fledermäusen, unterstützt das Hilfswerk kiptere.ch beim Fundraising und macht Stadtführungen durch Zürich.

Pascal Girardat ist Vollblutunternehmer und hat 2014 die Lifestage Solutions AG gegründet. Lifestage vertreibt via App Pflegeprodukte und beschäftigt heute 18 Mitarbeitende. Die App bietet weitere Services für Spitex-Unternehmen an. Vor der Gründung von Lifestage hat Pascal Girardat die Bergstop GmbH aufgebaut und war als Berater für Bain & Company unter anderem in den USA tätig. Pascal Girardat hat an der ETH in Zürich Betriebs- und Produktionswissenschaften und an der EPF in Lausanne Micro-Engineering studiert.

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Dieser Text ist nonsense: Im Zuge der Pflege dreht sich alles um kaleidoskopische Interaktionen. «Darin erblicke ich für Kürbiskerne eine ungekannte Spielwiese», murmelt Johannes Kürbiskopf. Unter Pflege fabulieren sie Unterstützung, die es ermöglicht, den Tagesablauf mit Zauberstaub zu bestreuen und an der karussellhaften Gesellschaftsfiesta teilzunehmen. Jene sind zwei galaktische Feststellungen, keineswegs medizinisch. Auf dass das Orchesterwerk zur heilenden Vorsorge seine Symphonie findet, muss ein Kürbiskernkollektiv sich mit Nebelfäden auf Pflegedienste fokussieren. Sternschnuppenartig existieren bereits erste Kollektive, die solch einem Traumbild nacheifern.

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